Beobachtungsbericht über die Erdannäherung von Asteroid 2002 NY40
(17. und 18. August 2002)

Die Vorgeschichte:
Am 14. Juli 2002 wurde von LINEAR (Lincoln Laboratory ETS) in New Mexico ein Asteroid (2002 NY40) mit einer Größe von etwa 640 Meter und einer Rotationsperiode von etwa 20 Stunden entdeckt. Die geringste Erddistanz hat dieser Asteroid dann am Vormittag des 18. August 2002 um 09h53 MESZ erreicht. Seine minimale Entfernung zum Waldviertel betrug dabei nur 0,000351820 AE. Dies entspricht etwa 526.315 km. Das ist im astronomischen Maßstab schon sehr nahe. Dadurch war klar, dass dieses Objekt auch schon in der Nacht davor, vom 17. auf den 18. August 2002, bei der Annäherung an die Erde eine relativ große Helligkeit von etwa +10.1 mag bis +9.9 mag erreichen wird. Natürlich war diese relativ große Helligkeit noch immer etwa um den Faktor 100 zu schwach für das freie menschliche Auge. Aber mit entsprechender Ausrüstung und sehr genauen Aufsuchkarten sollte eine Beobachtung des Anfluges von Asteroid 2002 NY40 problemlos möglich sein. Dieses Ereignis war auch deshalb von großer astronomischer Bedeutung, da so nahe Vorbeiflüge derartig großer Objekte im menschlichem Zeitmaßstab ein sehr seltenes Ereignis darstellen. So lag das letzte vergleichbare Ereignis schon 77 Jahre zurück.
 
Die Vorbereitung:
Nachdem in den Wochen seit der Entdeckung dieses Objektes weltweit die Beobachtungen in ihrer Anzahl und Qualität laufend zunahmen, konnten die Bahnelemente des Asteroiden immer genauer festgelegt werden. Damit stieg natürlich auch die Genauigkeit der Emphemeridentabelle, die ich für meine Internetseiten mehrmals neu berechnete. Am Vormittag des 17. August 2002 waren dann Bahnelemente verfügbar, die aus Radarechos, aufgenommen mit der weltgrößten 300 Meter Radaranlage Arecibo in Puerto Rico, stammten. Diese waren sofort um Größenordnungen besser als die bisherigen, die alle aus optischen Beobachtungen abgeleitet waren. Damit stieg auch die Genauigkeit meiner für das Waldviertel gerechneten Tabelle im Internet vom Minutenbereich in den Sekundenbereich. Das war dann auch genau genug, um damit sehr exakte Aufsuchkarten für die Nacht der Beobachtung erstellen zu können. Die Beobachtung selbst sollte mit meinem für diese Zwecke gut geeigneten Großfernglas Fujinon 16x70 FMT-SX auf Stativ mit Getriebeneigekopf stattfinden. Nur mit Stativ und bei dunklem Himmel kann diese Optik auch tatsächlich bis an ihre Grenze von etwa +11,4 mag genutzt werden. Da im 4 Grad Gesichtsfeld des Fujinon, an den Himmelsstellen wo sich der Asteroid vorbei bewegte, bis zu 1000 Sterne sichtbar sein würden, mussten auch entsprechend genaue Karten durch Ausdruck vorbereitet werden. Dafür verwende ich das sehr genaue Astronomieprogramm GUIDE 8 von Bill J Gray. Eine sinnvolle Beobachtung des Asteroiden schien mir im Waldviertel von 22h30 bis etwa 03h00 MESZ möglich. Daher wurden für diesen Zeitraum über 20 Karten der entsprechenden Himmelsregionen angefertigt. Alle 30 Minuten wurde die Asteroidposition durch jeweils drei Karten dargestellt. Die erste Karte zeigte einen Überblick mit 8,5 Grad Gesichtsfeld und Sterne bis zur Klasse +9,0 mag. Die zweite zeigte mit 4 Grad exakt das gesamte Blickfeld durch das Fujinon und Sterne bis zur Klasse +10,6 mag. Die dritte Karte schließlich zeigte mit 1,7 Grad das Zentrum des Blickfeldes und Sterne bis +11,0 mag. Diese Grenzgröße sollte sich später als Unterschätzung des Fujinon und des Beobachtungsplatzes herausstellen. Um alle im Umfeld des Asteroiden sichtbaren Sterne auch auf der Karte zu haben, hätte hier eine Grenzgröße von +11,5 mag auf die Karte gedruckt werden müssen.
 
Die Beobachtungsnacht vom 17. auf den 18. August 2002:
Um etwa 22h25 machten sich mein Cousin August Kubala und ich per Auto auf den kurzen Weg zu einer gut geeigneten Beobachtungsposition auf 15.22738 Ost, 48.79516 Nord, 553 Meter in der Nähe meines Heimatortes Nonndorf im Waldviertel. Dort befindet sich eine Waldlichtung auf einem Asphaltfeldweg im nahen Radlbachwald. Nach etwa drei Minuten war der Beobachtungsplatz erreicht und wir begannen in aller Ruhe mit dem Auspacken und Aufbau des Fujinon auf dem Stativ und Getriebeneigekopf. Das war ebenfalls nach einigen Minuten erledigt. Durch den Einsatz einer roten Taschenlampe war inzwischen auch die Dunkeladaption der Augen bereits gut fortgeschritten und die Asteroidensuche konnte beginnen. Allerdings erhellte der Mond die Himmelsgegend um den Asteroiden doch mehr als wir erwartet hatten. Aber der erste Blick durch das Fujinon stimmte uns zuversichtlich. Die momentanen +10,1 mag des Asteroiden würden wir trotz Mondlicht auf jeden Fall erreichen können. Damit kam der erste Kartensatz zum Einsatz. Ausgehend vom kleinen Sternbild Pfeil war unterhalb bald die Stelle der berechneten Asteroidenposition gefunden. Nun musste unter den vielen hunderten sichtbaren Sternen nur mehr der Asteroid 2002 NY40 selbst identifiziert werden. Dazu kam die mittlere Kartengröße mit Sternen bis +10,6 mag zum Einsatz. Nach einem Vergleich war das Sternchen, das der Asteroid sein sollte, bald bestimmt. Nun galt es dieses Objekt für einige Minuten zu beobachten. Nur dadurch konnte die Bewegung vor dem Fixsternhimmel nachgewiesen werden. Schon zwei Minuten später war klar: Unsere kurze Suche war erfolgreich gewesen. Visuell war der 640 Meter große Asteroid, der sich allerdings noch in fast 1 Million Kilometer Entfernung befand, als schwacher Stern nicht weiter auffällig. Aber das Objekt bewegte sich als einziges deutlich in Richtung des Sternbildes Pfeil. Von nun an wurde das Fujinon mit dem Getriebeneigekopf im Abstand von einigen Minuten immer wieder der Erddrehung und der Eigenbewegung des Asteroiden manuell nachgestellt. Dabei wechselten wir uns in der Beobachtung, abgesehen von kleinen Pausen, immer wieder ab. Auf diese Weise konnte das bewegte Objekt immer wieder in das Zentrum des Blickfeldes gestellt werden. Für Überraschungen sorgten dann noch ein Meteor, der plötzlich von Ost nach West durch das Blickfeld eine relativ helle Leuchtspur zog und um exakt 23h15m36s MESZ zwei Satelliten (Cosmos990 und Meteor1-14Rk), die auf polnahen Bahnen gleichzeitig die scheinbare Position des Asteroiden gegenläufig und ganz nahe im Abstand von nur 2,3 Bogenminuten passierten. Da der Himmelhintergrund durch den Mond für das Fotografieren noch zu hell war, beschränkten wir uns vorerst auf das Beobachten des Asteroiden. Obwohl der Mond immer tiefer am Westhorizont stand, wurde das Beobachten kurz vor Mitternacht plötzlich schwieriger. Der Grund war bald gefunden. Die Objektive des Fujinon hatten sich, wegen der Stativhöhe von uns bisher unbemerkt, bereits voll betaut. Nun kam ein Vorschlag meines Cousin zur Anwendung. Während ich das Fernglas am Autogebläse langsam wieder auf Temperaturen deutlich über den Taupunkt brachte, baute er aus mehreren Notizzetteln mit Taschenmesser und Klebestreifen zwei später hervorragend funktionierende Taukappen für das Fernglas. Nach dem Aufsetzen des Fujinon auf das Stativ wurde es wieder kurz spannend. Würden wir nach 15 Minuten Pause den Asteroiden wieder auffinden? Drei Minuten später war die Frage positiv beantwortet. Von nun an war ein ungestörtes Beobachten ohne Betauung der Glasflächen möglich. Die Taukappenkonstruktion hielt trotz deutlicher Verformung durch die hohe Luftfeuchte doch bis zum Schluss durch. Allerdings sollten wir das Objekt in dieser Nacht noch ein drittes Mal suchen und finden müssen. Abgelenkt durch das Aufstellen und Einrichten der Fotoausrüstung, hatten wir dabei doch zu lange auf den sich immer schneller bewegenden Asteroiden vergessen. Aber wie jeweils zuvor war er nach kurzer Zeit wieder gefunden und konnte nun bis zum Schluss beobachtet werden. Allerdings waren nun ohne dem störendem Mondlicht deutlich mehr Sterne als auf unseren genauesten Karten sichtbar. In der Zeit von 00h45 bis 01h15 MESZ wurden nun mehrere Fotos verschieden lange belichtet. Eine bald danach durchgeführte Kontrolle mit dem Lichtkegel einer hellen Taschenlampe ergab nun bereits deutlich erkennbaren Wasserdunst in der Luft. Da wir den Asteroiden fast drei Stunden bei seiner Annäherung an die Erde beobachten und auch fotografieren konnten, waren wir mit diesem Erfolg zufrieden und begannen um 01h30 mit dem Abbau der Ausrüstung. Um 01h45 war die gesamte Ausrüstung wieder zum Trocknen im Wohnhaus verstaut. Eine erfolgreiche Beobachtungsnacht mit einem Ereignis, das man im Leben wahrscheinlich nur einmal beobachten kann, ging damit zu Ende.

Hier finden Sie noch mehr Fakten über den Erdvorbeiflug vom Asteroid 2002 NY40

Gerhard Dangl im August 2002
Zum Seitenanfang

08. Februar 2006
Kuvert Fragen und Anregungen an => Gerhard Dangl

Zur Startseite